Wettbewerb Ländliche Entwicklung in Bayern 2007/2008
Das Bayerische Staatsministerium für Landwirtschaft und Forsten hat das Projekt "Wiederherstellung der historischen Tanzlinde" mit einem Sonderpreis ausgezeichnet. Gemeldet worden war diese Maßnahme in der Kategorie 2 "Besondere gemeinschaftliche und öffentliche Leistungen" durch das Amt für Ländliche Entwicklung, Bamberg.
Auszug aus der Würdigung der Bewertungskommission:
"... für die vorbildliche Revitalisierung des Kulturdenkmals Tanzlinde, die in dieser Form und Größe einmalig in Europa ist. Mit diesem Projekt wurde ein für alle Generationen nutzbarer Treffpunkt geschaffen, der als über den Ort hinaus bekanntes Wahrzeichen maßgeblich die Identität der Dorfgemeinschaft fördert. Zahllose Feste und Veranstaltungen, die jetzt wieder auf und unter der Tanzlinde stattfinden, bereichern das Dorfleben und bilden einen kulturellen Mittelpunkt für die umgebende Region. Die in diesem Zusammenhang geförderte Neugestaltung des umgebenden Platzes verbesserte sowohl die gestalterische als auch die verkehrstechnische Situation des Dorfzentrums. Besonders hervorzuheben ist das Engagement der Dorfbevölkerung. Der hohe Anteil an geleisteten Arbeitsstunden zeigt, wie dieses Projekt die Dorfgemeinschaft verbunden hat."
Besuch der Bewertungskommission am 24.07.2007 in Peesten
Mitglieder der Bewertungskommission
Maximilian Geierhos, LMR, StMLF
Franz Beimler, TAR, StMLF
Theo Abendstein, VA, StMLF
Bgm. Steinberger, Reißbach
Brigitte Sesselmann, Architektin, Nürnberg
Irene Burkhardt, Landschaftsarchitektin, München
Theodor Geißler, Geschäftsführer, bbv-Landessiedlung
Begrüßung der Gäste durch Lothar Winkler, Gebietsabteilungsleiter ALE, Bamberg, Bürgermeister Bernd Steinhäuser, Landrat Klaus Peter Söllner und Bauoberrat Bernhard Patzold, ALE, Bamberg.
Lied und Tanz der "Lindenkinder"
Präsentation über Geschichte, Wiederaufbau und heutige Nutzung der Tanzlinde im Peestener Schloss
Projektdarstellung:
Gut Ding braucht Weil – so wächst die Tanzlinde Peestens wieder zu ihrer alten Einzigartigkeit in Europa heran
Man pflanze 1951 eine neue Sommerlinde, dokumentiere es mit einer „Flaschenpost“ im Wurzelwerk, beobachte den Wuchs der Linde genau, lasse die Äste des unteren Kranzes waagrecht wachsen, nehme im Laufe der Jahre gezielt Äste weg, vertraue auf die Wiederbelebung einer Tradition und schon führt nach 50 Jahren die Treppenschnecke nicht mehr ins Nichts, sondern wieder auf ein Podium in der Baumkrone mit Platz zum Tanz in der Linde. Der damalige Bürgermeister Karl Dietzel verlas vor den 14 Bürgern, die halfen die für würdig befundene Linde zu pflanzen: „Wenn vielleicht in 50 Jahren wieder auf dieser Linde getanzt wird, so geht unser Wunsch dahin, dass die künftige Generation einer glücklicheren Zeit entgegengehe, als wir sie heute durchleben müssen. Und euch, die ihr dieses Schriftstück lest, wenn dieser Baum nicht mehr steht, möchten wir auffordern, nicht zu zögern und alles zu tun, damit an dieser Stelle wieder eine neue Linde grüne. Habt Sinn für das Vergangene, seit tätig in der Gegenwart und denkt an die Zukunft“.
Initiator Förderkreis Tanzlinde
Als der Bürgermeister Dietzel dies vorlas, waren die meisten Mitglieder des 1999 gebildeten Förderkreises Tanzlinde noch gar nicht geboren. Als Kinder erlebten sie allerdings durch die aufmerksamen Augen der Erwachsenen auf diesen heranwachsenden Baum mit, dass dieser Linde eine besondere Bedeutung zuwächst. Zudem stärkte der Dorflehrer das Bewusstsein für das Ziel der Wiederbelebung der Tanzlinde. Und zwar so nachhaltig, dass die heute Erwachsenen die Linde wirklich wieder zur Tanzlinde gemacht haben.
Der dafür ins Leben gerufene Förderkreis hat sein Projekt Tanzlinde in einem Exposé aufbereitet, den Bürgern vorgestellt und gleichzeitig um Spenden geworben. Mit sichtbarem, herausragendem Erfolg. Am 12. Mai 2001 wurde Richtfest gefeiert. Das „Ältestenehepaar“ des Förderkreises hatte kurz vorher goldene Hochzeit. Ihm wurde die Ehre zuteil, anlässlich seines Jubiläums mit einem Walzer die Tradition nach fast einem Jahrhundert Pause als Erste neu aufleben zu lassen. Die Zimmerleute standen Spalier und klatschten den Rhythmus zum Tanz – ein bewegendes Erlebnis für alle. Die festliche Einweihung war dann am 9. September 2001, am Tag des offenen Denkmals, im Jahr des 50. Geburtstags der Linde.
Und so wie einst Bürgermeister Dietzel denkt der Förderkreis mit seinen zwölf Verantwortlichen auch heute schon an die Zukunft der Tanzlinde. Sie planen eine Stiftung Tanzlinde mit jährlicher Kapitalrendite aus einem festgeschriebenen Spendenfonds für den Unterhalt des Naturdenkmals. Stiftungen sind so gut wie unauflöslich, und das gilt nun auch für die Bindung der Peestener zu ihrer Tanzlinde. Ihre Vorgängerin wurde leider nur rund 400 Jahre alt und war in ihrer würfelähnlichen Form einzigartig in Europa. Linden gelten als Symbol für Freiheit und Glück, und es bleibt zu hoffen, dass der Volksmund recht behält, wenn er sagt: „Eine Linde kommt 300 Jahre, steht 300 Jahre und geht 300 Jahre“.
Bürgerengagement in Bayern – ein Markenartikel!
Die vorhandene Treppe und zwölf Sandsteinsäulen bildeten die Basis für den Bau des Eichenholzpodiums in der Baumkrone der 50 Jahre jungen Linde. Den originalgetreuen Plan mit Modell und Computersimulation rekonstruierte vorher Prof. Dr. Graefe vom Institut für Baugeschichte in Innsbruck gemeinsam mit seinen Studenten anhand von Fotos, Zeichnungen und Beschreibungen. Ein ortsansässiger Bauingenieur fertigte die Umsetzungsplanung und rechnete die Statik. Er leitete in der Trägerschaft der Gemeinde auch die Bauausführung und war Dreh- und Angelpunkt für die vielen fleißigen Helfer, die rund 1 500 unentgeltliche Arbeitsstunden leisteten. Heute ist er Sprecher des Förderkreises. Die Tanzlinde kostete 93 000 Euro, die Dorfplatzgestaltung 220 000 Euro, der Umbau der Raiffeisenkasse zum Dorfhaus 134 000 Euro. Insgesamt steuerte die Dorferneuerung 219 000 Euro Zuschüsse bei. Für 139 000 Euro private Investitionen gab es weitere 18 Prozent Zuschüsse.
Unschätzbarer immaterieller Gesamtgewinn des Tanzlindenprojektes für die Zukunft Peestens: Ein stark gewachsener und heute herausragender Gemeinschaftsgeist, den es vor den Gemeinschaftsprojekten Tanzlinde, Dorfhaus und Dorfplatzgestaltung so noch nicht gab! Vor allem ist die Jugend beim Dorfleben mit Spaß dabei, nicht nur beim Feiern. Sondern schon weit vorher, wenn angepackt werden muss, um eine schöne Lindenkerwa feiern zu können, oder wenn die Linde in Hitzeperioden Wasser braucht. Aus diesem Geist heraus ist auch vor 1999 die Dorfzeitung für die 260 Einwohner Peestens entstanden. Und wie könnte es anders sein? Sie trägt das Wahrzeichen des Dorfes in ihrem Titel und heißt passend zu Peesten „Lindenblättla“.
Kultur leben verbindet
Diese „Ansteckung“ findet auch bei einem Töpfermeister, der 1988 nach Peesten kam und die ehemalige Schule zum Wohnen und Arbeiten sehr schön renovierte, ihren Ausdruck zur Dorfgeschichte. Er hat auch am Dorfplatz, an der Stelle des ehemaligen Löschweihers, kostenlos einen Brunnen gebaut. Der Brunnen ist modern gestaltet, symbolisiert eine Welle und das verwendete Tonmaterial zeigt die Farben von Erde, Sand und Wasser. Die Welle steht vertikal und ihre Grundfläche zeichnen drei geschwungene Linien. Oben mündet sie in eine gewölbte Fläche, von der eine Seite die Schwingung des Treppenaufganges zur Tanzlinde nachbildet. Entlang der längsten der drei aufsteigenden Linien quellt an fünf Stellen Wasser mit unterschiedlichen dynamischen Eigenschaften, das im weiteren Fluss über die Welle den Farben des Brunnens natürliche Kraft und Ausstrahlung gibt. Und ein Brunnen so ganz allein im Freiraum auf dem Dorfplatz, das kann nicht sein: Seine unmittelbare Nachbarin ist seit 2003 eine dichtkronige Winterlinde.
Der Töpfermeister ist auch eines der wenigen Mitglieder des Förderkreises. Beides zusammen ist ihm anscheinend besonderer Reiz, sein künstlerisches Schaffen alljährlich für die Dorfkultur zu leben. Zu jeder Lindenkerwa kreiert er gemeinsam mit seiner Frau eine limited edition von 40 Lindenkrügen, von denen jeder ein handsigniertes Unikat ist. Am Anfang der jährlichen Krug-Aktion spendete er den gesamten Erlös, später den Gewinn für eine vitale Tanzlinde. Einen Lindenkrug zu besitzen ist eine Ehre und die Krüge haben mittlerweile Sammlerwert bei Mitgliedern des Förderkreises und bei Besuchern der Lindenkerwa. Lindenkrüge gibt es seit 1998 - also noch weit vor der 2003 erstmals gefeierten Lindenkerwa. Und bereits 1996 wurde unter der „Schirmherrschaft“ der Sommerlinde an der Kirchweihfeier der Frühschoppen getrunken. Heute weiß man auch, dass das der entscheidende Impuls zur Wiederherstellung der Peestener Tanzlinde war.
Tanzlinde – kulturelles Wahrzeichen
Der Förderkreis ist sich völlig einig und schützt seine Tanzlinde: Keine Kommerzialisierung zur Eventkulisse, die der Tanzlinde an die Substanz gehen würde! Vielmehr soll sie lange im Lichte der Jahreszeiten strahlen und den Einheimischen übers Jahr Freude und Ambiente bei zwei Theatern oder Konzerten für 90 Gäste bieten. Jährlicher Höhepunkt ist die Lindenkerwa, mit Lindengottesdienst, Lindenfrühschoppen, Umzug mit anschließendem Lindentanz der Jugend und der stolzen Kinder. Von Mai bis Oktober ist die Tanzlinde offen, das heißt, Einzelbesucher und Reisegruppen aus Franken, Bayern, Deutschland und Europa können über die Sandsteintreppe in die Krone gehen und auf der Bühne das einzigartige Naturdenkmal von innen bestaunen. Peesten ist mit seiner prächtigen Tanzlinde am Dorfplatz und umgeben von der Schenkstatt mit renovierter Fassade (1650, ehemaliges Wirtshaus, Bäckerei und Kramerladen), dem sanierten Schloss, der Kirche und der sanierten Schule (1895) einmalig in Bayern. Seit April 2008 plant Prof. Graefe, von diesem Ensemble ein Modell zu bauen.
Peestener Beispiel macht Schule
Stammgäste der Lindenkerwa in Peesten sind die Limmersdorfer aus dem Landkreis Kulmbach. Sie hatten lange Zeit die einzige Tanzlinde (ca. 1650 gepflanzt) in Bayern und freuen sich, dass der Lindentanz nun auch in einem zweiten Dorf Bayerns gepflegt wird. Und vielleicht sind ja auch bald die Langenstädter, Landkreis Kulmbach, Kerwagäste in Peesten. Prof. Dr. Graefe rekonstruiert dort bereits die historische Tanzlinde und setzt damit das Faible seines Vaters für Tanzlinden leidenschaftlich fort.
Vom Förderkreis Tanzlinde erweiterte Projektdarstellung, die das Bayerische Staatsministerium für Landwirtschaft und Forsten anlässlich der Auszeichnung mit dem Staatspreis 2007/2008 - Sonderpreis zur Ländlichen Entwicklung in Bayern veröffentlicht hat.